Zurück an alter Wirkungsstätte
Ich trainiere – ein paar Einarmige, dann mit Gewichtsentlastung – es folgen Zweiarmige bis nichts mehr geht – Liegestützen bis ich mich nicht mehr halten kann – etwas Entspannung an der Zugmaschine – alles tut weh – der ganze Körper zittert – ich bin wieder da – bin motiviert, lebe.
Nach dem Bizeps Sehen-Riss kam ich wieder – auch jetzt, nach dem unglücklichen Halswirbel-Bruch bin ich zurück. Es brauchte viel Energie und Motivation, mich wieder hochzutrainieren…
Ich war oft auf dem Boden, wurde angezählt – nicht nur physisch, auch psychisch – eine schwierige, anstrengende Zeit hat mir viel Energie und Motivation gekostet. Doch ich bin immer wieder aufgestanden und habe weitergekämpft – fair weitergekämpft… Es ist wahrlich nicht mehr meine Zeit… doch ich muss damit leben, das Beste daraus machen, auch wenn ich in gewissen Entwicklungen keinen nennenswerten Mehrwert sehe!
Seit geraumer Zeit habe ich wieder meine Gedanken in der Schlossbergwand. Immer noch hängt mein Materialsack auf dem ersten Band, 250 Meter über dem Einstieg – aber auch 250 Meter unter dem Pfeilerkopf.
Am Pfingstsamstag habe ich mit meinem Gast Ralph Bohrhaken und Sanierungsmaterial auf die Spannort Hütte getragen. Wir wollten Material und Essen die Wand hochziehen. Am ersten Tag bis zum Band, dort biwakieren, anschliessend weiter mit dem gesamten Biwak Material hoch zum Pfeilerkopf, dort die Biwak Nische suchen, einrichten, übernachten und am dritten Tag noch ein zwei Seillängen am Pfeilerausstieg oder meinem Projekt beginnen.
Die Bise lag über Engelberg. Der Wetterbericht meldete gut, vereinzelt kurze Schauer in den Bergen, jedoch relativ kühl.
So packte ich auf der Hütte das noch fehlende Material in den Haulbag. Bis zum eigentlichen Einstieg auf dem Vorbau trug ich den Materialsack auf dem Rücken. Er ist schwer. Ich montiere ihn jetzt am Nachziehseil, binde das Nachziehseil an mir an, bevor ich Ralph nachsichere. Er ist immer noch brutal motiviert, ein Fallschirmgrenadier, der im letzten Jahr bei mir an einem Grundkurs teilgenommen hat. Schon im Vorfeld habe ich mir Gedanken gemacht, wie ich den Haulbag über den Quergang bringen soll, so dass er nicht zu weit pendelt und doch nicht zu viel Seilzug entsteht. Ich clippte das Nachzugsseil in jeden zweiten Express ein, in der Hoffnung, dass die beiden Seile doch noch einigermassen laufen würden und ich jedes Seil einzeln gut nachziehen konnte. Vor allem Ralph, der hinter dem Sack her kletterte und bei Bedarf den - möglicherweise verklemmten - Sack aus den Rissen und Dächern wieder löste. Es war sehr anstrengend, doch am Schluss hatte ich den Sack und Ralph bei mir am Standplatz. Das Klettern machte Spass, doch das Nachziehen des Sackes war eine Tortur. Bald spürte ich krampfartige Erscheinungen in meinen Armen. Im Adlerhorst begann es dann auch zu allem Überfluss noch zu graupeln. Zuerst nur leise, dann überzog sich der Fels mit einem leichten Wasserfilm… Langsam wurde es auch empfindlich kühler. Der Sack verklemmte sich mehrere Male. Während der letzten Seillänge vor dem Band zog ein graupelartiger Schauer über uns weg.
Die Felsen wurden nass, auf den Bändern blieb der Graupel liegen und zusammen mit dem Nebel der nun die Wand einhüllte, bekam unser Unternehmen eine winterliche Atmosphäre. Da sich Ralph mit den Verhältnissen und der zunehmenden Ermüdung in der Verschneidung schwer tat und sich die Kommunikation mühsam gestaltete, seilte ich mich noch einmal ab, um nachzusehen, was unten los war. Habe sicher eine halbe Stunde gewartet – weder der Haulbag noch Ralph bewegten sich ein paar Zentimeter. Ralph war dran im Selbstaufstieg dem Seil entlang hochzusteigen, weil er den Einstieg in die Verschneidung nicht geschafft hatte. Doch er hatte die Technik nicht mehr intus, so dass ich ihm einen Refresher vermittelte. Ich stieg meinerseits auch dem Seil entlang hoch. Oben bemerkte ich, dass an mein Ringfinge an der linken Hand die Haut wegegeschürft war und ich blutete.
Endlich erreichten wir das Band. Für die letzte Seillänge brauchten wir drei Stunden…!
Ich war müde und froh, nicht mehr weiter klettern zu müssen. Biwak einrichten: Geländerseil spannen, Bohrhaken setzen, Liegeplattform bauen und dann trinken und essen.
Es war etwa halb acht am Abend. Es hatte aufgehört zu graupeln, der Himmel öffnete sich wieder, die Sonne zeigte sich, drang aber nicht mehr zu uns rüber, weil wir uns im Schatten des Pfeilers befanden. Ralph war ziemlich müde. So streng hat er sich diese Arbeit dann doch nicht vorgestellt.
Am nächsten Morgen hingen hohe Wolken am Himmel. Es war empfindlich kalt. Ich sagte Ralph am Abend schon, dass die Sonne scheinen müsse, damit ich weiter gehen würde, sonst wäre der Fels zu kalt und noch einmal in Graupel zu kommen, hatte ich keine Lust. Ralph war froh, dass er nicht mehr klettern musste. Ich bohrte noch einen Sicherungshaken und einen Standplatz weiter recht der Abseilstelle. Er soll etwas den Seilzug vermindern, der ohnehin in der letzten Seillänge vor dem Band entsteht. Wir seilten sechs Mal ab und gingen zur Hütte. Dort wollte ich in die Küche gehen - als Hüttenverwalter der Spannort Hütte hatte ich natürlich einen Schlüssel – als ich in die Küche trat sah ich, dass keine geeignete Möglichkeit bestand um über die Küchenüberbauung zu den Fenstern zu gelangen, um die Fensterläden zu öffnen. Ich legte den Schlüssel auf den Küchentisch und ging hinaus in den Aufenthaltsraum, um einen Stuhl zu holen. Als ich zurückkam war die Türe ins Schloss gefallen und nicht mehr zu öffnen. Ich regte mich gewaltig auf. Auf der anderen Seite der Küche hätte ich eine normale Türe mit Falle gehabt, die sich jederzeit wieder öffnen liesse.
Ja, zu meiner Zeit war alles noch anders. Da hatte man noch keine Türen die nur von einer Seite her zu öffnen waren… Also, dann halt ohne Wein ein Nachtessen geniessen.
Wir gingen noch an der Schwarzen Wand einen Standplatz sanieren. Anschliessend betätigten wir den «Jetboil», den ich für die Hütte während der Winterzeit organisierte und als Winterequipement für wichtig erachtete. Mindesten für uns hier und jetzt, hat es sich schon mal gelohnt. Eine Packung mit Spinatteigwaren, die von Hüttengästen hierlassen wurden, konnten wir zum Abendesse wärmen und geniessen. Im «Schlossberg» schliefen wir und erholten uns vom Vortag und der Biwak Nacht.
Am Pfingstmontag, wollte ich mit Ralph noch an die Äbnetwand. Schon beim (steilen) Zustieg jammerte er, wie anstrengend und steil es hier sei. Nach der ersten Seillänge wollte er dann nicht mehr weiter. Ok, wir steigen ab, dann gehen wir ins Bier und Du bezahlst. Ja, ja, kein Problem – entgegnete er mir. Im Stäfeli trank ich ein «Chrüter» und ass einen Wurstsalat ohne Zwiebeln. Im Desirée dann die Bieraktion. Das ein oder andere Bier war wohl zu viel… Danke Ralph.
Wir hatten das Material auf dem Band komplettiert. Ich muss zwar noch einmal hoch, doch dieses Mal wird es bis zum Band angenehm sein, ohne Zusatzgewicht…
Für Mittwoch, den 24. Juni 2020 habe ich mit Fabian, der Hüttenhilfe auf der Spannort Hütte abgemacht. Er war schon vorher interessiert und motiviert, in die Wand mitzukommen. Andy der Hüttenwart hat ihm für diesen Tag frei gegeben.
Am Dienstag arbeitete ich noch an meiner Power Point Präsentation über die Alpingeschichte. Ich hatte ein ungutes Gefühl im Bauch. Einerseits wegen einer Geschichte der vergangenen Zeit. – andererseits drehten sich meine Gedanken stets um den Südwest Pfeiler, ob es mir dieses Mal gelingen würde mein Ziel zu erreichen und wie meine Haulbag Technik noch zu verbessern wäre. Ich hatte keine Ahnung wie gut Fabian klettert, wie wirklich motiviert er ist und wie seine Physis sich präsentieren würde. Vielleicht würde ich ja versagen, würde mich den Mut verlassen. Immerhin sind es vierzehn Seillängen meist im sechsten Grad und (von mir) nicht gerade plaisirmässig abgesichert. Zudem kassierte ich noch einen kleinen Zwick in der Schulter während des Krafttrainings am Montag. Dies beunruhigte mich aber nicht allzu sehr, trotzdem war der Gedanke im Hinterkopf. Werden wir es schaffen, mein Ziel dieses Mal zu erreichen? «Es wäre schon cool» habe ich noch zu Marianne gesagt. Ich war froh, als ich dann am Dienstag endlich losgehen konnte. Mit jedem Meter wo ich der Schlossberg Wand näher kam, schwanden die Bedenken und das Selbstvertrauen stieg. In gemütlichen vierzig Minuten stieg ich mit leichtem Gepäck von der Hirti Hütte aus auf zur Spannort Hütte.
Ich nahm mir Zeit, das Material zu präparieren und mich noch etwas auszuruhen. Die letzten Nächte schlief ich nicht gut. Auch diese Nacht wird wohl kaum ein «Highlight» werden. Um vier Uhr wollten die Spannörtler mit Sämi, Fredy und seinen Töchtern das Morgenessen, also schloss ich mich dieser Zeit an, um nicht zwei Termine zu provozieren.
Um vier Uhr waren wir alleine, die Anderen hatten sich kurzfristig auf halb fünf umentschieden. Na bravo, dann hätten wir auch noch eine halbe Stunde länger schlafen können. Es war eh noch zu früh, ich wollte erst gehen, wenn es zu dämmern beginnen würde.
Viertel vor Fünf verliessen wir die Hütte, um viertel vor Sechs startete ich vom Vorbau aus in die Querung. Etwas nach neun Uhr erreichten wir das Band. Wir waren meinem Zeitplan klar voraus. Fabian hatte riesigen Spass an der Kletterei und war schnell. Es freute mich sehr. Ich war glücklich und zufrieden, als wir auf dem Band sassen, etwas tranken, assen und den Haulbag mit dem roten Sack füllten. Das Haulseil zog ich raus und habe es an mir befestigt. Nur die Liegematten liessen wir noch auf dem Band zurück. Die könnte man später mal mitnehmen, sie sind nicht schwer und einigermassen gut im Rucksack verstaubar.
Die ersten beiden Seillängen sind steil. Es gab kaum Probleme mit dem Nachziehen des Sackes. Ab der dritten Länge würde das Gelände etwas flacher, die Risse begannen den Sack aufzuhalten und zu verklemmen. In der Schlucht dann eggte der Sack dauernd an, die Zeit verstrich, ich konnten den Sack nicht mehr allzu weit voraus hochziehen, da er im etwas splittrigeren Gelände dauernd Steine löste, die krachend zu Tale donnerten und Fabian bedrohten. Deshalb liess ich ihn vor dem Sack her klettern, damit er unmittelbar neben oder darüber den Sack befreien konnte. Die Nachziehaktionen brauchten Zeit. Das Vorsteigen und Nachziehen der Last, machte sich in meinem Kopf und Körper bemerkbar.
«Bin dann schon froh, wenn wir oben auf dem Pfeilerkopf sind» sagte ich mal zu Fabian, der immer noch begeistert von der Route und vom Murksen war. Cool, dachte ich, mit einem Partner unterwegs zu sein, der sich nicht beschwert, der mich nicht korrigiert und an meiner Arbeit oder meinem Tun nörgelt. Fabian ist ein ruhiger Typ – ich genoss es sehr, in dieser lockeren Atmosphäre klettern und arbeiten zu können.
Nachmittags um halb zwei erreichten wir den Pfeilerkopf. Ich war froh, müde, und doch hatte ich mein Ziel noch nicht erreicht. Wo soll ich den Sack denn nun deponieren? Für Fabian war der Tag soweit gelaufen, seine Füsse schmerzten und er teilte mir mit, dass er nicht mehr mitkommen würde, um die Biwak Nische zu suchen. «Ich möchten den Biwak Platz noch suchen gehen» sagte ich zu Fabian. «Ich gehe mal schauen, nehme das Hauling Seil mit und werde es beim Biwak Platz deponieren, wenn ich ihn gefunden habe. Werde dann zurückkommen und den Haulbag holen und ihn oben aufhängen.
So stieg ich links des Grates über Schutt und abschüssige Platten in den Kletterfinken hoch, über Schutt und kleine Stufen in den grossen Kessel vor der Gipfelwand hinein. Rechts am Grat habe ich eine Möglichkeit entdeckt, den Sack zu deponieren, falls ich den Biwak Platz nicht finden sollte. Doch irgendwie hatte ich stets das Gefühl, dass ich ihn finde. Links oben lag noch ein Schneefeld. Vielleicht ist er noch vom Schnee bedeckt? Der Instinkt zog mich aber nach rechts hoch, wo ich das Biwak stark vermutete. Ich stieg über mit Geröll bedeckte Felsen etwa zehn Meter hoch und stand unvermittelt vor dem Biwak Platz. Er ist mit Steinen abgegrenzt. Es stecken noch zwei Blechhaken und ein Geschlagener. Zu zweit hat man super Platz zum Biwakieren. Oben im Überhang sah ich eine Möglichkeit den Sack aufzuhängen, damit die Mäuse nicht das Material, vor allem Kleider und den Schlafsack zerbeissen. Ich atmete auf! Gefunden. Gleichzeitig der Seufzer – ach, ich muss nochmals runter – muss denn das wirklich sein? Ja es muss! - den Materialsack holen und erneut hochsteigen. Dieses Mal mit 20 Kilo Material und so ziemlich müde. Nur mein Wille bewegte mich noch einmal hoch. Ich brauchte sicher eine halbe Stunde für den zweiten Aufstieg. Im Überhang setzte ich einen Bohrhaken, hängte den Sack auf, spannte ihn nach hinten ab, damit er sich im Wind nicht allzu sehr bewegt und aufschürft. Der Platz ist ziemlich geschützt. Gegen Norden ausgerichtet – eine etwa zwei Meter ausladende Höhle. Die Bohrmaschine liess ich oben. Nahm nur den Akku mit runter.
Völlig ausgelaugt und dehydriert, aber glücklich stieg ich wieder zu Fabian ab, der am Pfeilerkopf wartete. Nun spürte ich, dass mir alles weh tat. Die Füsse, der Rücken, die Arme, Finger und der Kopf war leer. Es ist inzwischen drei Uhr am Nachmittag geworden. Zeit, den letzten Schluck aus der Flasche zu nehmen, einen kleinen Schokoriegel vertilgen und dann bereitmachen für die zehnfache Abseilfahrt. Wir ermahnten uns noch einmal, immer gut aufzupassen, uns immer anzubinden und die Karabiner zuzuschrauben. Es ging alles gut, nach vier Uhr erreichten wir das Band und nach weiteren vier Abseilfahrten standen wir auf dem Schuttrücken, wo wir sehr gerne wieder in unsere bequemeren Schuhe schlüpften. Abstieg über den schuttbedeckten Vorbau, kurz einmal Abseilen, dann durch die steinige Rinne runter und auf der anderen Seite kurz die Moräne hoch, zum Weg queren und in fünf Minuten zur Hütte runter, die wir um viertel vor Sechs erreichten. Etwas trinken, das Material versorgen und Verabschiedung auf der Hütte. Alle waren glücklich: Andy, dass Fabian gerade rechtzeitig zum Kochen zurückkam, Fabian einen guten Tag hatte und ich mein Ziel, das Material endlich auf dem Pfeilerkopf deponieren zu können, erreicht habe.
So stieg ich ab und erreichte völlig zerstört, physisch und psychisch am Ende – Engelberg. Aber dieses Mal war es ein schönes Gefühl…